Gerhard Richter – Übermalte Fotografien

Gerhard Richter – Übermalte Fotografien – Zigarette nach dem Schaffensrausch – Kunst – art-magazin.de.

In diesem Artikel vom 17.10.2008 wird eine andere Art der Übermalung von Fotos vorgestellt, nämlich wie Gerhard Richter versucht, den Zufall mit dem Zufall zu überlisten. Er drückt handelsübliche private Fotos einfach in Ölmalfarbreste drückt, sie hindurchzieht oder damit besprenkelt.

Der ganze Artikel:

ZIGARETTE NACH DEM SCHAFFENSRAUSCH
Das Museum Morsbroich in Leverkusen zeigt mit den übermalten Fotografien eine bislang weitgehend unbekannte Werkgruppe Gerhard Richters: private Schnappschüsse mit bunten Farbresten besprenkelt. Parallel dazu präsentiert das Kölner Museum Ludwig mit der Ausstellung „Abstrakte Bilder“ rund 40 Gemälde aus den Jahren 1986 bis 2006.
// MICHAEL KOHLER, LEVERKUSEN

Wenn Gerhard Richter seine gewaltigen abstrakten Bilder malt, wird erst geklotzt und dann gekleckert. Meist schmiert Richter ein gutes Kilo Farbe auf seinen überdimensionierten Spachtel, um ihn an einem Seil über die am Boden liegende Leinwand zu ziehen und die Farbe darauf zu verteilen. Dieser Vorgang wird so lange mit neuen Farbschichten wiederholt, bis der Maler erschöpft oder das Gemälde fertig ist.

Ist das Werk getan, greift Richter in eine Kiste privater Schnappschüsse, die weder ins Familienalbum noch in sein Atlas genanntes Vorlagenbuch gelangten. Diese industriell entwickelten Fotografien im Allerweltsformat zehn mal fünfzehn Zentimeter werden nun übermalt, indem Richter sie entweder in die an seinem Malwerkzeug haftenden Ölfarbreste drückt, sie durch die bunten Farbreste hindurch zieht oder sie mit ihnen besprenkelt. Im ersten Fall bilden sich feine Verästelungen auf der weite Teile des Bildes verdeckenden Farbschicht, im zweiten zieht die Farbe Schlieren und im dritten sieht es aus wie nach einer Spaghettisoßenschlacht. Gefällt Richter sein Werk, darf es bleiben, falls nicht, wandert es schnurstracks in den Mülleimer.

So oder so ähnlich entstehen nach Markus Heinzelmann, dem Direktor des Leverkusener Museum Morsbroich, die Arbeiten einer bislang weitgehend im Verborgenen blühenden und nun erstmals mit musealen Ehren präsentierten Werkgruppe Gerhard Richters: die übermalten Fotografien. Während der anwesende Richter dazu wohlgefällig nickte, stellte sich sogleich die Frage, ob sich hier eine schon von Pablo Picasso bekannte Form des Devotionalienhandels wiederholt. Offensichtlich sind die übermalten Fotografien gleich im doppelten Sinne Abfallprodukte des Richterschen Werks und wurden passend dazu bislang meist unter dem Ladentisch an verdiente Sammler und Freunde abgegeben. Nicht einmal Richters Galeristen wissen, wie viele übermalte Fotografien mittlerweile kursieren, Heinzelmann schätzt, dass sein Museum mit rund 500 Exponaten etwa die Hälfte aller seit 1989 entstandenen Bilder präsentiert. Doch als was werden sie in die Kunstgeschichte eingehen? Als bloße Souvenirs, als Zigarette nach dem Schaffensrausch oder vielleicht doch als unscheinbarer, aber wesentlicher Schlüssel zu einem grandiosen Werk?

Den Schock der Fotografie überwinden

Gerhard Richter malt nicht nur häufig nach Fotografien, man könnte sogar sagen, dass er mit seinem gesamten Werk versucht, den Schock der Fotografie zu überwinden. Dieser besteht darin, dass sich die Welt durch bloßes Auslösen eines Mechanismus wahrhaftiger darstellen lässt, als es ein Maler mit dem Pinsel kann. Im Grunde siegt im Schnappschuss der Zufall über die Gestaltung, was auch vielen Fotografen Kopfzerbrechen bereitete und zur Bewegung des Piktorialismus führte. Anfang des 20. Jahrhunderts nutzte Edward Steichen spezielle Druckverfahren, um seine Fotografien in ein Unschärfebad zu tauchen und dadurch künstlerisch zu veredeln. Genau das gleiche macht auch Gerhard Richter in fotorealistischen Arbeiten wie dem „Stammheim-Zyklus“ (1988), nur dass er tatsächlich malt und nicht nur die Vorlage malerisch manipuliert.

Um den Zufall als Schöpfer geht es auch in Richters abstraktem Werk: Mit dem langen Rakel lässt sich nun einmal nicht exakt planen, was auf der Leinwand haften bleibt, selbst Jackson Pollocks Drippings wirken daneben wie penible Spießerwerke. Richter sagt dazu, dass er sich dem Zufall überlasse, um ihn gestalten zu können. Natürlich ist das ein Paradox, das man nicht rational erklären und höchstens vor den Bildern empfinden kann. In jedem Fall ist es eine titanische Aufgabe, die sich Richter da aufgebürdet hat. „Atlas“ heißt nicht nur sein Sammelbuch mit möglichen Motiven, Atlas, das ist Richter selbst. Ein Titan, der, von den Göttern gestraft und zugleich geadelt, ganz allein das marode Himmelsgewölbe der malerischen Ideen stützt.

Hier kommen Richters private Fotografien ins Spiel. In ihnen sucht man vergebens, was Henri Cartier-Bresson den „entscheidenden Augenblick“ nannte. Den Moment, in dem eine Aufnahme den Zufall besiegt, indem sie ihn wie eine künstlerische Komposition der Wirklichkeit aussehen lässt. Richter holt ihn auf seine Weise nach: Er „übermalt“ die Fotografien, er versucht den Zufall mit dem Zufall zu überlisten, und was dabei herauskommt, ist mal schön und mal weniger schön anzusehen, aber immer Ausdruck eines erstaunlich zärtlichen Kraftakts. Wer die Schau „Gerhard Richter – Abstrakte Bilder“ im Kölner Museum Ludwig (bis 1. Februar) besucht, sollte den Abstecher nach Leverkusen auf keinen Fall vergessen. Und umgekehrt.

Solche Arbeiten von Gerhard Richter findet man hier

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